Artikel - Die Sinnlosigkeit der GOAT-Debatte in der NBA
The Greatest Of All Time. Nichts ist dem Durchschnittsamerikaner wichtiger als den in seiner jeweiligen Sportart besten Athleten aller Zeiten zu küren. Die Einteilung in Schwarz und Weiß gefällt. Nur: Auf welcher Grundlage fällt man dieses Urteil (objektiv)? Und: Macht das überhaupt Sinn?
6. März 2019, Los Angeles,
Kalifornien:
Im zweiten Viertel des Spiels der Los Angeles Lakers gegen die Denver
Nuggets sind noch 5:40 Minuten zu spielen, als der Point Guard der Lakers,
Rajon Rondo, an der 3-Punkte-Linie stehend einen Pass auf LeBron James spielt.
Dieser zieht gegen den Nuggets-Spieler Torrey Craig in die Zone und verfrachtet
den Ball via Layup im Korb. Die Denver Nuggets führen zu diesem Zeitpunkt
komfortabel mit 16 Punkten. Dennoch brandet tosender Beifall von den
Zuschauerrängen des Staples Center. LeBron James hat gerade seine Punkte 32.292
und 32.293 in der NBA erzielt. Damit ist er nun der Spieler, der die
viertmeisten Punkte aller Zeiten erzielt hat. Doch viel wichtiger noch: Mit
diesem Layup gegen die Denver Nuggets hat LeBron einen gewissen Michael Jeffrey
Jordan in der All-Time-Scoring-Liste überholt, eben diesen Mann, mit dem er
schon seit seiner Jugend, spätestens aber seit seinem ersten Jahr in der NBA in
der Saison 2003/2004, verglichen wird. Bis vor ein paar Jahren war sich die
Basketballwelt einig: Michael Jordan ist der beste Basketballspieler aller
Zeiten. Egal, ob die Helden aus den Anfangsjahren der NBA, wie Bill Russell oder
Wilt Chamberlain, die Superstars der 1980er Jahre wie Magic Johnson, Kareem
Abdul-Jabbar und Larry Bird, oder die Superstars, die nach
der Jordan-Ära in den (frühen) 2000er Jahren für Furore sorgten, wie
Kobe Bryant oder Shaquille O‘Neal: Niemand konnte es in den Augen der meisten
Basketballfans mit Michael Jordan aufnehmen. Keiner hatte dieses Komplettpaket
aus übermenschlicher Offense, knallharter Defense und einem unfassbaren
Killerinstinkt in Situationen, wo es wirklich darauf ankam.
Doch spätestens seit LeBron James mit den Cleveland Cavaliers 2016 in den
NBA Finals gegen die übermächtig wirkenden Golden State Warriors um Superstar
Steph Curry triumphierte, werden die Stimmen lauter, dass LeBron ein noch
besserer Basketballspieler sei als Michael Jordan.
Diese „Debatte“ läuft also nun schon seit knapp drei Jahren auf Hochtouren
und wird vor allem in den sozialen Medien regelmäßig thematisiert. Dabei macht
sie, wenn man ehrlich ist, (noch) überhaupt keinen Sinn. Die Art und Weise der
Argumentation stellt dabei das größte Problem dar. Gefühlt gibt es ein Michael-Jordan-Camp
und ein LeBron-James-Camp, die nicht miteinander diskutieren, sondern sich
gegenseitig Statistiken um die Ohren hauen, die belegen sollen, dass ihr
Liebling der Bessere der beiden sei.
„Stat Wars“
Einige Fans nahmen das Spiel der Los Angeles Lakers gegen die Denver
Nuggets zum Anlass zu sagen, dass LeBron James spätestens jetzt der beste
Basketballspieler aller Zeiten sei, weil er jetzt schon mehr Karriere-Punkte
erzielt habe als Michael Jordan. Wenn man auch nur eine Sekunde über diese
Aussage nachdenkt, sollte einem schnell bewusst werden, wie unsinnig diese ist.
Wenn es darum ginge, die meisten Punkte zu erzielen, wäre Kareem Abdul-Jabbar
mit 38.387 Punkten der beste Basketballspieler aller Zeiten. Darüber hinaus
wären dann auch noch Karl Malone und Kobe Bryant besser als MJ gewesen, was
aber nur die wenigsten Basketballfans allen Ernstes behaupten können und würden.
Darüber hinaus hat LeBron James jetzt schon über 120 Spiele mehr absolviert als
Michael Jordan. Mike hat also zum Erzielen seiner Punkte weniger Spiele
gebraucht als der „King“.
Die totalen Statistiken als Vergleich zwischen den beiden Ausnahmenkönnern
heranzuziehen, macht also keinen Sinn, da sie nicht einmal annähernd die
gleiche Anzahl an Spielen absolviert haben.
Dementsprechend scheint es logisch, sich die Per-Game-Statistiken der
beiden anzusehen. Die klassischen Stats zeigen, dass MJ der bessere Scorer
(30,1 vs. 27,2 PPG) war und mehr Steals als LeBron (2,3 vs. 1,6 SPG) gesammelt
hat. LeBron ist allerdings der bessere Passer (7,2 vs. 5,3 APG) und Rebounder
(7,3 vs. 6,2 RPG). Bei den Blocks (0,8 BPG) sind beide gleichauf. Man sieht
also, dass auch ein Blick auf die klassischen Statistiken nicht klar zeigt,
welcher der bessere Spieler der beiden war bzw. ist. Die Advanced Metrics
besagen, dass LeBron James, abgesehen von den Freiwürfen, durchweg leicht
bessere Wurfquoten als Michael Jordan hatte. Beim PER liegt Jordan knapp vor
James, bei den Winshares ist es genau umgekehrt.
Diese Statistiken zusammen betrachtet erwecken den Eindruck, dass LeBron
der vielseitigere, teamdienlichere und auch leicht effizientere Spieler im
Vergleich zu Jordan ist. Was man aber diesbezüglich nicht vergessen darf, ist,
dass Jordan der deutlich bessere und vor allem engagiertere Verteidiger war.
Dies lässt sich an den Statistiken, die uns zur Verfügung stehen, leider nicht
umfassend ablesen. LeBron hingegen nimmt sich regelmäßig in der Defense zurück,
um Kraft zu sparen und in der Offense nach Belieben dominieren zu können
(sowohl als Ballhandler und Passgeber als auch als Scorer). Michael Jordan war
ein absoluter Eliteverteidiger, der zwischen 1987 und 1998 neun Mal im All-Defense-Team
stand und 1988 sogar als bester Verteidiger der Liga ausgezeichnet wurde.
Abgesehen davon möchte ich hier auf Awards aber eigentlich gar nicht
eingehen, da diese in meinen Augen nicht immer nach der reinen Leistung eines
Spielers, sondern oft auch wegen der Story darum herum vergeben werden. Michael
Jordan und LeBron James waren bzw. sind beide die wohl besten Spieler ihrer
jeweiligen Zeit und hätten daher beide mehr MVP-Titel verdient gehabt, als sie
(bis jetzt) erhalten haben. Auch die These, Jordan sei der viel bessere Spieler
als LeBron, weil er weniger gute körperliche Voraussetzungen hatte, halte ich
für absolut unnötig. Sonst könnte man auch einen Case machen, dass Allen
Iverson ob seiner geringen Größe und Gewichts der G.O.A.T. ist, was natürlich
hanebüchener Unsinn ist.
Man sieht, es fällt anhand der Statistiken schwer klar zu sagen, ob nun
King James oder His Airness der bessere Spieler ist.
Countin‘ Chips
Jordan-Fans werden natürlich auf seine sechs Titel bei sechs
Finalteilnahmen hinweisen, wohingegen LeBron (bis jetzt) nur drei Ringe sein
Eigen nennen kann. Auf der anderen Seite hat es James neunmal in die NBA-Finals
geschafft. Auch wenn er davon sechs verloren hat, ist dies eine unfassbare
Leistung. Hinzu kommt, dass Bill Russell der GOAT wäre, nähme man lediglich
die gewonnen Championships als Indikator.
In diesem Zusammenhang bringen LeBron-Fans dann oft an, dass Michael Jordan
die besseren Teams um sich hatte und dass er nie mit einem Team wie den
aktuellen Golden State Warriors um den Titel kämpfen musste. Jordan-Fans werden
dann darauf verweisen, dass in MJs Ära viel härtere Defense gespielt wurde,
weshalb seine (offensiven) Leistungen viel höher einzustufen seien.
Und was wäre eigentlich gewesen, wenn Michael seine Karriere nicht für sein
Baseball-Intermezzo unterbrochen hätte…
Was, wenn die Cavaliers LeBron schon früh ein gutes Team zur Seite gestellt
hätten…
Ich denke, man erkennt an diesen Beispielen gut, dass man für beide Seiten
argumentieren kann und man dennoch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kommt. Bei
einer Bewertung der beiden Spieler kommt auch noch erschwerend hinzu, dass
LeBrons Karriere noch läuft. Die nächsten Jahre können das Gesamtbild seiner
Karriere noch extrem stark beeinflussen. Vielleicht bauen die Lakers im
nächsten Sommer ein Superteam um ihn herum und holen einen Threepeat. Jordanfans
werden dann trotzdem sagen, dass LeBron zwölf Finalsteilnahmen brauchte und MJ
nur sechs. Vielleicht hat sich LeBron mit seinem Signing bei den Lakers jeder
weiteren Titelchance beraubt, weil sie es eben nicht schaffen, ein Topteam um
ihn herum zu formen. Dann wird LeBron noch ein paar Jahre spielen, vielleicht
Kareem Abdul-Jabbar als All-Time Leading Scorer ablösen, aber seinen
Karriereherbst im Mittelmaß verbringen. Aber auch in diesem Fall wird es Leute
geben, die der Meinung sind, LeBron sei der bessere Basketballspieler gewesen
und war nur Opfer schlechter Entscheidungen von verschiedenen GMs.
Also selbst nach Ende seiner Karriere wird es immer noch verschiedene Lager
geben, die jeweils für ihren Liebling argumentieren werden, wenn es darum geht,
wer der beste Basketballspieler aller Zeiten ist.
Äpfel und Birnen?
Oft vergessen die Fans bei all den Vergleichen auch, dass Michael Jordan
und LeBron James auf vollkommen unterschiedlichen Positionen spielen. LeBron
spielt primär die 3, kann aber auch als Power Forward oder sogar in bestimmten
Lineups als Center eingesetzt werden. MJ hingegen war der Inbegriff des 90er-Jahre-Shooting-Guards.
Seine Nachfolger waren eher Kobe Bryant und Dwayne Wade. Man vergleicht also
irgendwo Äpfel mit Birnen, da „His Airness“ und „King James“ ganz
unterschiedliche Spielertypen sind.
Zu allem Überfluss muss man auch, wie bereits erwähnt, sehen, dass die
beiden Spieler in vollkommen unterschiedlichen Epochen gespielt haben bzw.
immer noch spielen. Neben den Regeln unterschied sich das Spiel in den 90er
Jahren noch in vielen anderen Aspekten vom Spiel in der aktuellen NBA. Gerade
die allgemeine Spielweise war eine ganz andere. Der 3-Punkte-Wurf
beispielsweise hatte im Vergleich zu heute kaum Bedeutung, was wohl auch
erklärt, warum MJ sich nie nachhaltig darum bemüht hat, seinen Distanzwurf auf
ein neues Level zu hieven. Es macht generell wenig Sinn, Spieler aus
verschiedenen Epochen miteinander vergleichen zu wollen. Man sollte vielmehr
nicht vom GOAT, sondern vom besten Spieler einer Epoche sprechen. Wie
bereits erwähnt, machen beide Spieler einen starken Case dafür, die besten
Spieler ihrer Generation zu sein.
Fakt ist, dass Michael Jordan und LeBron James sich nie in einem NBA-Spiel
außerhalb der Konsole gegenüberstanden und wir deshalb nie wissen werden, wer
von beiden im direkten Vergleich der bessere Spieler gewesen wäre.
Und das ist auch eigentlich ziemlich egal. Freuen wir uns als
Basketballfans doch einfach darüber, dass wir zwei solche Ausnahmetalente
bewundern durften und in LeBrons Fall immer noch dürfen.
We ain’t talkin’ about
practice, we talkin’ the game,
Marius
Übrigens:
Wenn ihr noch mehr zum Thema lesen wollt (und noch ein bisschen ausführlicher), dann checkt mal die sehr gute Gegenrede zum GOAT-Gerede von Christian Orban aus. 👌
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